Wann man "Verzögert Senden" nutzt

Im April 2019 verkündete Google, dass sein E-Mail-Dienst Gmail 15 Jahre nach seiner Einführung nunmehr auch das verzögerte Senden von E-Mail ermöglicht. Nutzer professioneller E-Mail-Clients wie Outlook können das schon seit vielen Jahren. Sie können beim Versand einstellen, wann eine geschriebene E-Mail tatsächlich verschickt werden soll. Wobei sich die Frage stellt, wozu diese Funktion überhaupt nützlich ist.

Im geschäftlichen E-Mail-Verkehr gibt es drei Hauptanwendungsfälle für "verzögert senden":

1. Der Sender möchte den Empfänger vom psychologischen Druck befreien, sofort reagieren zu müssen. Er weiß beispielsweise, dass der Empfänger aktuell stark belastet ist und lässt die von ihm verfasste E-Mail deshalb erst dann absenden, wenn der Empfänger wieder freie Ressourcen hat. Allerdings sollte die Verzögerung für den Empfänger nicht jene Zeit unbotmäßig kurz bemessen, die ihm zur Erledigung verbleibt. Am häufigsten wird die „Verzögert-senden“ Funktion von Chefs angewendet, die am Abend oder an freien Tagen E-Mails an ihre Mitarbeiter schreiben und bei diesen erst gar nicht den Eindruck entstehen lassen wollen, dass sie in ihrer Freizeit E-Mails lesen und bearbeiten müssen. Sie setzen die Versendezeit deshalb so, dass die Mitarbeiter die E-Mail zu Beginn des nächsten Arbeitstags in ihrem Posteingang finden.

2. Der Sender möchte vom Empfänger nicht sofort eine Antwort erhalten. Bei manchen E-Mails weiß man beispielsweise, dass jener Empfänger, der auf die E-Mail antwortet (indem er beispielsweise eine nachgefragte Information liefert) vom Absender innerhalb einer bestimmen Zeit eine bestimmte Aktion erwartet. Wenn man aufgrund der eigenen Arbeitsbelastung (oder weil man auf Reisen oder im Urlaub ist) diese Erwartung nicht erfüllen können wird, lässt man die E-Mail nicht gleich versenden, sondern zu einem Zeitpunkt, zu dem man der Erwartung des Empfängers entsprechen kann. Man wird vom Empfänger dann als wesentlich responsiver wahrgenommen.

3. Der Sender möchte etwas vom Tisch haben und dem Empfänger gleichzeitig die Gelegenheit geben, doch noch zu reagieren. Beispielsweise fällt einem am Morgen ein, dass die Kollegin Anja eigentlich eine bestimmte Präsentation bis gestern geschickt haben wollte. Nun will man Anja noch bis zu Abend Zeit geben, bevor man nachhakt. Um den Vorgang aus dem Kopf zu haben, schreibt man Anja sofort eine „Wolltest-du-mir-nicht-die-Präsentation-schicken?“-E-Mail und setzt die Absendezeit auf 17 Uhr. Sollte die Präsentation doch noch im Laufe des Tages eintreffen, geht man in den Postausgang und löscht die E-Mail. Ansonsten geht sie automatisch am Abend ab, ohne dass man sich darüber noch einmal Gedanken machen muss.

Für private Nutzer mag die „Verzögertes-Senden“-Funktion in Gmail natürlich noch einige andere Anwendungen haben. Nachdem das verzögerte Senden bei Gmail bis zu 50 Jahre später erfolgen kann, könnte man beispielsweise seinem Chef nach einer Auseinandersetzung einmal so richtig die Meinung geigen – mit Versanddatum nach der eigenen Pensionierung. Oder man könnte E-Mails an sich selbst senden. Beispielsweise ein Jugendlicher, der in eine E-Mail alle jene Sprüche seiner Eltern schreibt, die er bei seinen eigenen Kindern nie in den Mund nehmen möchte. In 15 Jahren ist das dann eventuell ein recht interessanter Input. Voraussetzung für diese Langläufer ist natürlich, dass es E-Mail, Gmail und die E-Mail-Adressen der Empfänger dann noch gibt